Mittwoch, 22. Oktober 2025

Schön – alles und nichts

„Wie war’s?“
„Schön.“

Ein einziges Wort – und doch sagt es fast nichts. Kaum ein anderes Wort wird im Deutschen so inflationär, so wahllos, so universell verwendet wie dieses kleine Adjektiv: schön. Es kann alles bedeuten – und damit im Grunde genommen nichts.

Wir nennen das Wetter schön, das Kleid schön, den Urlaub schön, den Sonnenuntergang schön, den Menschen schön, ja sogar ein Gespräch oder ein Gefühl kann „schön“ gewesen sein. Doch wenn man ehrlich ist: all diese Dinge haben kaum etwas miteinander zu tun. Das eine ist visuell, das andere emotional, das dritte atmosphärisch. Und doch fassen wir sie alle unter demselben Wort zusammen – als gäbe es keine Unterschiede im Empfinden, keine Nuancen, keine Tiefe.

Vielleicht ist „schön“ das bequemste Wort unserer Sprache. Es ist ein Allzweckwort, das uns rettet, wenn wir keine Lust haben, genauer hinzuschauen. Wenn wir etwas zwar positiv fanden, aber nicht sagen wollen, warum.
„Wie war der Film?“ – „Schön.“
„Wie war dein Wochenende?“ – „Schön.“
„Wie war das Essen?“ – „Schön.“

Damit ist alles gesagt – und zugleich gar nichts. Es ist eine sprachliche Nebelwand, ein freundliches Lächeln in Wortform, das jede Nachfrage im Keim erstickt. Und vielleicht liegt genau darin das Problem: Wir stumpfen sprachlich ab. Wir verlieren die Fähigkeit, genauer zu beschreiben, feiner zu empfinden, ehrlicher zu antworten.

Wenn man einmal darauf achtet, wie oft das Wort „schön“ fällt, wird man überrascht sein. Es begleitet uns ständig. Aber wann sagen wir wirklich noch aus vollem Herzen: „Das war schön“ – und meinen damit etwas, das uns tief berührt hat?

Vielleicht ist das Wort „schön“ früher einmal bedeutungsvoller gewesen. In seiner ursprünglichen Form steckt etwas Edles, fast Erhabenes. Im Althochdeutschen hieß skōni so viel wie anmutig, lieblich, herrlich. Heute dagegen verwenden wir es inflationär – für ein Stück Kuchen ebenso wie für einen Sonnenuntergang, der uns sprachlos macht.

Was also wäre die Alternative?
Vielleicht sollten wir uns wieder trauen, differenzierter zu sprechen:
Das Essen war köstlich.
Der Abend war berührend.
Der Film war tiefgründig.
Das Gespräch war ehrlich.
Der Mensch war warmherzig.
Und der Sonnenuntergang war einfach – wundervoll.

So viele Worte stehen uns zur Verfügung, und doch wählen wir immer wieder das eine, das am wenigsten verrät. Vielleicht, weil wir uns mit der Tiefe schwer tun. Weil wir gelernt haben, dass man über Gefühle nicht zu viel sagen sollte. „Schön“ ist sicher. Es ist neutral. Es klingt freundlich, ohne zu viel preiszugeben.

Aber vielleicht wäre unsere Welt ein Stück „schöner“, wenn wir uns wieder trauen würden, ehrlich schön zu meinen. Wenn wir Worte fänden, die das ausdrücken, was wir tatsächlich fühlen.
Denn das Leben ist zu reich, zu farbig, zu voller Wunder, um es in einem einzigen, überstrapazierten Wort zu verstecken.