Samstag, 27. September 2025

Lehre uns bedenken, dass wir ...

"Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden." (Bibel - Psalm 90:12)

Es gibt Sätze, die sich unauslöschlich ins Herz graben. Einer davon ist jener aus dem 90. Psalm.

Zunächst klingt dieser Vers wie eine ernste Mahnung, vielleicht sogar wie ein drohender Zeigefinger. Doch wer innehält und darüber nachdenkt, entdeckt etwas Kostbares: eine Einladung zu Klarheit und Weisheit.

Die Endlichkeit als Lehrmeisterin

Wir Menschen leben oft, als wäre unser Leben endlos. Wir schieben Träume auf später, vertagen Versöhnungen und verlieren uns in Kleinigkeiten. Die Erinnerung daran, dass unsere Zeit begrenzt ist, wirkt wie ein sanftes Erwachen.
Nicht, um uns zu ängstigen, sondern um uns wach zu rütteln:
Jeder Tag zählt. Jede Begegnung hat Gewicht. Jede Entscheidung formt unser Leben.

Klugheit durch Vergänglichkeit

Der Psalmist verbindet die Erkenntnis der Sterblichkeit mit Klugheit. Warum?
Weil die Einsicht in unsere Vergänglichkeit uns zwingt, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Plötzlich wird klar, dass Reichtum, Statussymbole oder Streitigkeiten verblassen. Wichtig bleiben Liebe, Güte, Verbundenheit, Schönheit im Kleinen – und die Bereitschaft, in Frieden zu leben.

Der Gedanke an das Ende lässt uns manchmal langsamer werden. Wir hören zu. Wir schätzen stillere Freuden. Wir verstehen, dass Klugheit nicht aus Wissen oder Logik entsteht, sondern aus gelebter Achtsamkeit.

Memento mori – nicht als Drohung, sondern als Geschenk

„Bedenke, dass du sterben musst“ ist ein uralter Gedanke, der in vielen Kulturen auftaucht. Die frühen Christen, Mönche und Philosophen sahen darin keinen Pessimismus, sondern eine Haltung der Demut und Dankbarkeit.
Wer den Tod nicht verdrängt, beginnt, das Leben tiefer zu lieben.

Ein Gedanke für den Alltag

Vielleicht hilft dieser Psalmvers als stiller Begleiter im Alltag.
Nicht, um Schwermut zu verbreiten, sondern um uns zu ermutigen, die Gegenwart ernst zu nehmen:
den Freund rechtzeitig anzurufen, ein „Ich liebe dich“ nicht aufzuschieben, einem Fremden ein Lächeln zu schenken oder den Blick vom Bildschirm zu heben, um den Sonnenuntergang zu betrachten.

Zum Schluss

Der Psalm 90:12 erinnert uns daran, dass Weisheit oft dort beginnt, wo wir unsere eigene Endlichkeit akzeptieren. Das macht uns nicht hoffnungslos, sondern reicher an Menschlichkeit.
Vielleicht ist es gerade dieses Bewusstsein, das uns hilft, das Leben zu ehren – jeden Tag ein wenig mehr.