Nicht jeder Mensch wächst in einem Umfeld auf, in dem Liebe, Geborgenheit und emotionale Sicherheit selbstverständlich sind. Für manche beginnt die Reise in die Welt der Zuneigung mit einem Mangel – mit zu wenig Wärme, zu wenig Lob, zu wenig Halt. Für sie war Liebe nie ein sicherer Hafen, sondern oft an Bedingungen geknüpft. Und dennoch: Auch diese Menschen entwickeln die Fähigkeit zu lieben. Nur eben auf ihre eigene, manchmal unbeholfene, manchmal stille Weise.
Menschen, die als Kind wenig Aufmerksamkeit, wenig Verlässlichkeit oder gar emotionale Vernachlässigung erfahren haben, lieben anders. Nicht weniger – aber anders.
Sie kennen vielleicht nicht die selbstverständliche Leichtigkeit, mit der andere ihre Gefühle zeigen. Sie zögern, wo andere längst losgehen. Sie bitten selten um Nähe, weil sie nie gelernt haben, dass ihnen Nähe zusteht – dass sie nicht darum kämpfen müssen, dass sie nicht verloren geht, nur weil sie mal einen Fehler machen oder schwach sind. Stattdessen begleitet sie ein tiefsitzender Zweifel: Bin ich überhaupt liebenswert? Und oft kämpfen sie innerlich gegen genau dieses Gefühl – auch wenn du ihnen längst gezeigt hast, dass sie es sind.
Ihre Angst ist oft leise, aber hartnäckig. Sie fragt:
Wird er/sie mich wirklich lieben, wenn er/sie erst sieht, wie zerbrechlich ich bin?
Wie lange dauert es, bis ich wieder enttäuscht werde?
Was, wenn ich mich öffne – und genau das wird mir zum Verhängnis?
Aus solchen Fragen entstehen Schutzmechanismen: emotionale Mauern, Rückzüge, Schweigen, vielleicht auch Ironie oder kühle Distanz. Nicht, weil sie nicht fühlen – sondern weil sie zu viel fühlen und nicht wissen, wohin damit. Weil Nähe für sie nicht nur Verheißung, sondern auch Bedrohung ist. Denn wer nie gelernt hat, dass Liebe bleibt, wird oft das Gegenteil erwarten.
Deshalb brauchen sie vor allem eines: Geduld.
Geduld mit ihren Mauern, die nicht
gegen dich gerichtet sind, sondern gegen die alten Schmerzen.
Geduld
mit ihrer Unsicherheit, die manchmal lähmt, obwohl der Wunsch nach
Verbindung stark ist.
Geduld mit ihren stillen Rückzügen, in
denen sie versuchen, mit dem Echo ihrer Vergangenheit klarzukommen –
ein Echo, das lauter sein kann als jede Gegenwart. Geduld mit ihren Zweifeln.
Dein Partner muss vielleicht Dinge erst lernen, die dir ganz selbstverständlich erscheinen:
dass Zärtlichkeit nichts mit Schwäche zu tun hat, sondern mit Mut,
dass Nähe nicht gefährlich ist, sondern Geborgenheit schenken kann,
dass man Fehler machen darf, ohne verlassen zu werden,
dass man geliebt wird, ohne sich verbiegen zu müssen.
Und manchmal: dass man überhaupt geliebt werden darf.
Du bist nicht verantwortlich für die Heilung des anderen – und du darfst dich auch nicht selbst verlieren in dem Versuch, ihn oder sie zu retten. Aber du kannst ein sicherer Ort sein. Kein Retter, kein Therapeut, sondern ein Mensch mit offenem Herzen. Ein stilles Ufer, an dem die innere Unruhe zur Ruhe kommen darf. Ein Zuhause, das kein Haus ist, sondern ein Blick, ein Wort, eine Umarmung zur richtigen Zeit.
Liebe bedeutet nicht, jemanden zu
ändern.
Liebe bedeutet, jemanden aufrichtig zu begleiten –
während er sich selbst entdeckt. Es heißt, die dunkleren Kapitel
eines Menschen nicht zu fürchten, sondern geduldig auszuhalten, dass
manches Zeit braucht.
Wer mit offenen Augen liebt, sieht nicht nur das, was ist, sondern auch das, was werden kann.
Und manchmal ist das Schönste an der Liebe nicht der erste Kuss. Nicht das Feuerwerk der Anfangsphase. Sondern jener leise Moment, in dem sich ein Mensch dir zeigt, wie er wirklich ist – verletzlich, offen, authentisch – weil du ihm die Geduld geschenkt hast, die er nie erfahren durfte.
Zum Schluss eine leise Bitte: Reiß keine Pflanze aus, nur weil sie noch nicht blüht. Gib dem Menschen, den du liebst, die Zeit, zu wachsen.
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