Montag, 5. Mai 2025

Wer hat, dem wird gegeben

„Wer hat, dem wird gegeben“ – Ein biblisches Prinzip, das oft missverstanden wird

Es gibt Bibelstellen, die zunächst schmerzhaft unfair erscheinen. Eine davon lautet:

„Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“
(Matthäus 13,12)

Diese Worte wirken auf den ersten Blick wie eine Bestätigung sozialer Ungleichheit. Wer ohnehin schon hat, bekommt noch mehr – und wer wenig hat, dem wird auch noch das genommen? Das widerspricht scheinbar allem, was wir unter Gerechtigkeit verstehen.

Doch dieser Vers ist keineswegs ein Lobgesang auf Egoismus oder Besitzanhäufung. Er ist kein Freibrief für Reiche und keine Verurteilung der Armen. Wer diesen Satz auf materielle Güter reduziert, verfehlt seine tiefere Bedeutung. Denn es geht hier nicht nur um das Haben im Sinne von Eigentum – sondern um das Verwenden dessen, was einem anvertraut ist.

Das eigentliche Prinzip: Geben vermehrt

Ein weiser Mensch könnte diesen Satz auch so formulieren:

„Wer von dem gibt, was er hat, dem wird noch mehr gegeben – oft mehr, als er gegeben hat. Und wer nichts von dem teilt, was ihm gegeben wurde, dem wird selbst das wenigste entgleiten.“

Diese Formulierung zeigt: Es geht um eine innere Haltung. Es spielt keine Rolle, ob jemand materiell reich oder arm ist. Entscheidend ist, ob wir bereit sind, das, was uns zur Verfügung steht – sei es Zeit, Aufmerksamkeit, ein Lächeln, Mut, Wissen, Liebe oder Geld – mit anderen zu teilen.

Ein universelles Lebensgesetz

Dieses Prinzip ist nicht exklusiv religiös. Es findet sich in der Natur wieder: Ein Baum, der Früchte trägt, gibt sie her – und wird dadurch Teil eines Kreislaufs, der neues Leben hervorbringt. Wer Wasser staut, statt es fließen zu lassen, riskiert, dass es faulig wird. Wer jedoch weitergibt, was er empfangen hat, wird oft beschenkt – nicht immer materiell, aber in Form von Sinn, Verbindung, Frieden und Vertrauen.

Man kann arm an Geld, aber reich an Mitgefühl sein. Man kann wenig Zeit haben, aber bereit sein, jemandem fünf Minuten echter Aufmerksamkeit zu schenken. Man kann selbst verwundet sein – und dennoch Trost schenken. Und wer das tut, erfährt oft etwas Wunderbares: Das eigene Herz wird weiter, nicht leerer.

Wenn das Haben nicht genügt

Wer dagegen alles festhält, aus Angst, zu kurz zu kommen – verliert oft genau das, was er krampfhaft bewahren wollte. Beziehungen vereinsamen, wenn man nur erwartet, aber nichts schenkt. Talente verkümmern, wenn sie nicht genutzt werden. Und innerer Reichtum verarmt, wenn er nicht geteilt wird.

Fazit

„Wer hat, dem wird gegeben“ – das klingt hart, solange man darunter nur den Besitz versteht. Doch wer diesen Satz als Einladung versteht, das eigene Potenzial zum Blühen zu bringen, erkennt darin ein liebevolles Lebensgesetz:

Teile, was du hast – und du wirst reicher. Halte zurück – und du wirst verlieren.

Nicht weil ein strafender Gott so handelt, sondern weil das Leben selbst so funktioniert.

Wahrer Reichtum zeigt sich in vielen Lebensbereichen durch Mitgefühl, Erfahrung, Zeit, Wissen oder auch in materiellen Möglichkeiten. Jeder Mensch hat etwas Wertvolles beizutragen, und oft entsteht gerade im ehrlichen Miteinander ein Geben und Nehmen. Nicht Besitz trennt uns, sondern die Haltung – und nicht Gleichheit macht uns menschlich, sondern die Offenheit, voneinander zu lernen, einander in Liebe zu begegnen und miteinander zu wachsen.

Vielleicht hat sich mancher schon gefragt, warum ausgerechnet viele Reiche immer reicher werden und die Glücklichen immer glücklicher. Die Antwort liegt oft im Geben: Wer mit offenem Herzen teilt, wird nicht ärmer, sondern innerlich und äußerlich bereichert – oft auf eine Weise, die sich kaum erklären lässt. Doch jener Reichtum, der aus Gier oder auf Kosten anderer erworben wurde, lässt sich selten auf Dauer halten oder vermehren. Zahlreiche Beispiele zeigen: Was nicht in Liebe fließt, erstarrt – und sei es nur, dass solcher Reichtum in anderen Lebensbereichen auf magische Weise versiegt. Denn was nützt aller Besitz, wenn einem die Freude, die Liebe, der innere Friede oder die Verbindung zum Leben fehlt? Echter Reichtum ist der, den man teilen und genießen kann.