In einem alten Haus, das nach Bücherstaub und warmer Schokolade roch, wohnte ein kleiner Junge namens Elias mit seiner Großmutter. Er war sieben, neugierig, und voller Fragen. Und wenn ihm etwas besonders wichtig war, sagte er es nicht nur – er schrieb es auf. Jeder Wunsch bekam seinen eigenen Zettel.
„Ein roter Drache mit goldenen Augen“, stand auf einem.
„Dass
Mama mich öfter besucht“, auf einem anderen.
Und einmal nur:
„Ich will wissen, warum Erwachsene so oft vergessen, was sie sich
wünschen.“
Diese Zettel sammelte Elias in einer alten Schublade in Großmutters Schreibtisch. Sie war schwer, klemmte manchmal, und roch ein bisschen nach vergangenem Leben. Seine Großmutter nannte sie „die Wunschschublade“ – und sie öffnete sie nie.
„Wünsche sind wie Samen“, sagte sie oft. „Manche brauchen lange zum Wachsen. Manche verlieren sich. Aber keiner ist je wirklich weg.“
Eines Tages fragte Elias sie direkt:
„Oma, was wünschst du
dir?“
Sie sah ihn lange an. Dann lächelte sie.
„Ich glaube, ich
habe verlernt zu wünschen.“
„Das geht?“, fragte Elias und riss erschrocken die Augen auf.
„Ja“, sagte sie leise. „Erwachsene nennen das dann ‚sich abfinden‘.“
Am nächsten Tag geschah etwas Seltsames. Die Wunschschublade war offen. Und darin lagen nicht nur Elias’ Zettel – sondern auch neue. Auf altem Papier, in einer verschnörkelten Handschrift.
„Einmal noch barfuß über eine Sommerwiese rennen.“
„Jemandem
sagen, was ich nie sagen konnte.“
„Wieder Kind sein.
Wenigstens für einen Tag.“
Elias erkannte die Schrift. Sie gehörte seiner Großmutter.
Er nahm die Zettel, faltete sie vorsichtig zusammen und
sagte:
„Dann wünsch ich jetzt für dich.“
Und als er die Worte sprach, schien es, als würde das Zimmer heller. Nicht vom Licht – sondern von einer Art Wärme, die von innen kam. Großmutter lachte – nicht laut, aber ehrlich. Es klang ein bisschen wie früher. Vielleicht sogar ein bisschen wie Sommer.
Seitdem wünschten sie zusammen. Immer wenn der Wind durch das Fenster wehte, schickten sie einen Zettel hinaus. Elias lernte: Wünsche sind nichts Kindisches. Sie sind Mut in Papierform.
Und seine Großmutter? Sie lernte, dass Wünsche, wenn man sie lange genug versteckt, zwar leise werden – aber nie ganz verstummen.