Dienstag, 8. Dezember 2015

Am See

(Marie Luise Büchner)


Leise wie ein Traumgesicht
hält Erinn'rung mich umfangen,
leise, wie die Morgenluft
mir umspielet Stirn und Wangen.

Und der klare, blaue See
blickt mich an wie Menschenaugen,
dass ich möchte tief hinab
mich in seine Fluten tauchen.

Und der Alpenspitzen Glanz
blickt mich an wie Menschenherzen,
die so schroff und eisig kalt
lohnen dem mit tausend Schmerzen,

der sich ihnen froh genaht,
da im ros'gen Alpenglühen
sie, von fremdem Licht umstrahlt,
schienen lebenswarm zu blühen.

O, Erinn'rung! flieh' hinweg
von den falschen Alpenhöhen,
wasche in der blauen Flut
dich gesund von allen Wehen!

Such' in ihrem feuchten Glanz
jener Augen treue Klarheit,
die du frei noch lieben kannst,
und die stets dir blickten Wahrheit!

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