Samstag, 20. Dezember 2014

An deinem Herzen

(Mathilde Raven)
1. - 14. Strophe


An deinem treuen Herzen liegt
mein Haupt, von deinem Arm umfangen:
Mein Haar, von deinem Hauch gewiegt,
deckt wie ein Schleier meine Wangen.

Dein Auge glänzt wie Sternenschein
auf mich herab in Liebesfülle,
gleich einem Mantel hüllt mich ein
das Glück, der Frieden und die Stille;

So tiefe Still', dass deinen Hauch
und deines Herzens Schlag ich höre. -
Ich schließe träumerisch mein Aug',
dass nichts in meinem Glück mich störe.

Da weckst du mich mit leisem Wort:
"Wo bist du? Trug auf luft'gen Schwingen
ein Traum mir die Geliebte fort?
Darf meinem Arm er dich entringen?"

Mein Freund! gar mächtig ist der Traum,
er scheint kein Hinderniss zu kennen;
vor ihm verwinden Zeit und Raum:
Doch uns kann selbst der Traum nicht trennen.

Ich war mit dir im grünen Wald:
Ein Eichbaum du, mit starkem Wipfel,
mit dichtem Laub, hoch von Gestalt,
fest von der Wurzel bis zum Gipfel.

Ich eine Epheuranke klein
und schwach, voll Sehnsucht aufwärts strebend,
doch ohne Stütze und allein,
das Haupt vom Boden kaum erhebend.

Von Sonne fern und Licht und Luft,
ist schwarz das Laub der Epheuranke,
wie schwarz sich färbt in Kerkergruft
des Dichters Lied und sein Gedanke.

Der Eichbaum siehet mitleidsweich
der armen Ranke schmerzlich Ringen,
er neigt herab den starken Zweig,
dass ihn die Schwache mög' umschlingen.

Er hebt sie hoch mit festem Arm
zu Licht und Luft, zur warmen Sonne,
sie sieht der Vögel bunten Schwarm,
des Himmels Blau - sie bebt vor Wonne.

Und fest in Dank und Liebe schließt
sie um den Eichenbaum die Glieder.
Und Blatt an Blatt ihr jetzt entsprießt,
so hell und frisch wie Liebeslieder.

Sie schlängelt sich von Zweig zu Zweig;
sie spricht voll Lust: "Ich will dich kränzen!
Es soll kein Baum im Waldesreich
in solchem Schmuck wie du erglänzen.

Der Kranz, den schlang der Liebe Hand,
wird trotzen Sturm- und Wetterschauern -
er schmückt dich noch mit Laubgewand,
wenn blätterlos die Wälder trauern.

Und wenn dich fällt des Sturmes Hieb:
durch ihn noch grünen deine Trümmer,
wie eines Dichters totes Lieb'
fortlebt in seinem Lied für immer. -"

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